
Ich lebe mit VWE
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei der Von-Willebrand-Erkrankung? Wie kann ich als Elternteil mein Kind mit einer VWE am besten betreuen? Wie finde ich die beste Behandlung für mich? Was bedeutet die VWE für meine Familienplanung? Die VWE beeinträchtigt mein soziales und familiäres Leben: Was kann ich dagegen tun?
Das Leben mit der Von-Willebrand-Erkrankung (VWE) ist ein Weg, auf dem Sie nicht alleine sind. Unabhängig davon, ob bei Ihnen kürzlich die VWE diagnostiziert wurde oder ob die Diagnose schon länger zurückliegt, jeder Schritt auf Ihrem Weg mit der VWE wirft neue Fragen auf. Prof. Corrales-Medina, Prof. Berntorp und ihr Team aus Experten beantworten Ihnen einige der am häufigsten gestellten Fragen zu dieser Erkrankung, einschließlich Fragen zur Behandlung, Schwangerschaft und Geburt und psychischen Gesundheit. Außerdem finden Sie praktische Tipps für ein normales Leben mit der VWE.
Management der VWE
Die Behandlung der VWE erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Ihnen als Patient oder Eltern eines Patienten und Ihrem Arzt. Gemeinsam können Sie einen individuellen Behandlungsplan entwickeln, der Ihre individuellen Bedürfnisse und Lebensqualität berücksichtigt. Ein individueller Behandlungsplan minimiert das Blutungsrisiko und hilft Ihnen, die bestmögliche Lebensqualität zu erreichen.1
Therapie der VWE
Es gibt wirksame Therapien für alle Typen der VWE. Die Wahl der Behandlung sollte auf den Typ der VWE, den Schweregrad und die Art der Blutungen sowie auf andere gesundheitliche Probleme abgestimmt werden. Bei den meisten Menschen mit einer VWE ist eine Therapie nur im Zusammenhang mit einer Operation oder nach einem Trauma erforderlich. Menschen mit einer schweren Formen der VWE benötigen zur Vorbeugung von Blutungen möglicherweise eine prophylaktische (dauerhafte) Behandlung. Es ist wichtig, dass Sie Ihren Arzt über alle Medikamente informieren, die sie einnehmen, da einige Medikamente die Wirksamkeit und Sicherheit der VWE-Therapie beeinträchtigen können. Generell empfehlen wir Ihnen, sich von einem Zentrum für Gerinnungsstörungen beraten zu lassen, welche Therapie für Sie am besten geeignet ist.1
Desmopressin (DDAVP) ist für die meisten Patienten die Therapie der ersten Wahl. Desmopressin stimuliert die Freisetzung gespeicherter Gerinnungsfaktoren und wird häufig zur Behandlung von Typ-1- und einigen Typ-2-VWE-Patienten eingesetzt, jedoch nicht bei Patienten mit VWE Typ 3. DDAVP erhöht den VWF-Spiegel und unterstützt so die Blutgerinnung. Es wird häufig zur Blutstillung bei kleineren Operationen oder nach Verletzungen eingesetzt. Es ist jedoch nicht für alle Patienten oder bei größeren Operationen geeignet.1
Eine Therapie mit VWF-haltigen Konzentraten wird eingesetzt, wenn Desmopressin unwirksam oder ungeeignet ist. Diese Konzentrate ersetzen den fehlenden oder nicht ausreichend funktionierenden VWF im Blut, um die Gerinnung zu unterstützen. VWF-haltige Konzentrate werden hauptsächlich von Patienten mit bestimmten Typen der VWE oder mit schweren Blutungssymptomen verwenden. Bei schweren oder häufigen Blutungsepisoden, kann auch eine prophylaktische (regelmäßige) Behandlung mit VWF-haltigen Konzentraten helfen, Blutungen zu verhindern.1
In einigen Fällen und insbesondere bei Patienten mit VWE Typ 1 ist es möglich, antifibrinolytische Medikamente wie Tranexamsäure einzusetzen. Diese Medikamente verlangsamen die Auflösung von Blutgerinnseln und werden bei kleinere Operationen und zahnärztlichen Eingriffen sowie starken Monatsblutungen und Blutungen nach der Geburt empfohlen. Fibrinkleber können auch nützlich sein, um eine Blutungsstelle, z. B. nach einer Zahnextraktion, zu verschließen. Der Einsatz all dieser Medikamente sollte möglichst im Voraus geplant werden und Teil eines individuellen Therapieplans sein.1
Frauen mit einer VWE leiden häufig unter starken Menstruationsblutungen (HMB) und Blutungen während der Schwangerschaft und Geburt. Zu den Behandlungsoptionen bei HMB gehören Hormontherapien, wie z. B. die Einlage eines Intrauterinpessars, die manchmal Menstruationsblutungen reduzieren können. Wenn Sie eine Familie planen oder schwanger sind, empfehlen wir Ihnen, so bald wie möglich Ihren Arzt aufzusuchen. Für schwangere Frauen mit einer VWE stehen verschiedene Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Ihr Arzt wird gemeinsam mit Ihnen einen Therapieplan für eine sichere und komplikationslose Schwangerschaft und Entbindung erstellen.1
Die VWE kann sich auch auf das psychische Wohlbefinden, die sozialen Interaktionen und die Lebensqualität von Kindern und Erwachsenen auswirken.2-5 Symptome wie HMB oder Gelenkblutungen sind häufig mit Anzeichen einer Depression und Angst verbunden.2 Eltern machen sich oft Sorgen über mögliche Blutungen bei ihren Kindern, und Kinder mit einer VWE können aufgrund der Erkrankung Probleme in der Schule oder beim Spielen mit Freunden haben.5 Um diese Herausforderungen zu meistern, ist es hilfreich, über ein starkes soziales Netzwerk zu verfügen und von den Ärzten im Behandlungszentrum die richtige Behandlung und Aufklärung zu erhalten.2,3
Operation
Menschen mit einer Von-Willebrand-Erkrankung (VWE) haben ein erhöhtes Risiko, während und nach einer Operation übermäßig zu bluten.1 Selbst Patienten mit einer relativ milden Form der VWE berichten über starke Nachblutungen, die lange anhalten oder wiederholt auftreten können.1 Das Blutungsrisiko beschränkt sich dabei nicht auf größere Operationen, sondern es betrifft auch kleinere chirurgische Eingriffe, wie z. B. Zahnextraktionen.2 Das Risiko übermäßiger Blutungen während und nach einer Operation kann jedoch durch die richtige Behandlung zum richtigen Zeitpunkt verringert werden. 3,4
Wenn Sie von der VWE betroffen sind und eine Operation planen, ist es sehr wichtig, dass Sie vor der Operation mit Ihrem Zahnarzt oder Chirurgen über Ihre Erkrankung sprechen. Ihr behandelnder Arzt sollte dann einen Therapieplan für die Operation erstellen, der auf einer genauen Diagnose des VWE Typs und Schweregrads sowie auf einer Blutungsanamnese basiert. Anhand dieser Informationen kann Ihr Arzt das Blutungsrisiko während und nach der Operation einschätzen. Der Behandlungsplan sollte auch die Art der anstehenden Operation sowie andere Erkrankungen und Medikamente berücksichtigen. All diese Informationen sind wichtig für die Planung der Behandlung vor, während und nach der Operation.1,2,4
Um das Blutungsrisiko während einer Operation zu minimieren, haben Experten Behandlungsrichtlinien für kleinere und größere chirurgische Eingriffe bei Menschen mit VWE erarbeitet. Abhängig vom VWE Typ und der Operationsart empfehlen diese Richtlinien die Art und Dauer der Behandlung, um eine ausreichende Blutgerinnung zu gewährleisten.3 Für kleinere Operationen, wie z. B. eine einfache Zahnextraktion, benötigen Sie möglicherweise nur eine Behandlung von bis zu 5 Tagen.4 Bei größeren Operationen wie z. B. Herzoperationen, Hysterektomien oder Gelenkersatz sollte die Behandlung die Blutgerinnungsstörung vor und für mindestens 3 Tage nach der Operation fortgesetzt werden, bis das Blutungsrisiko sinkt.3 Bei einigen Operationen, z. B. Kniegelenkersatz bei Erwachsenen oder Tonsillektomie bei Kindern, kann es bis zu zwei Wochen dauern, bis das Blutungsrisiko sinkt. Der Therapieplan sollte daher entsprechend angepasst werden.4,5
Sprechen Sie auch mit Ihrer Pflegekraft oder Ihrem Arzt über die VWE, wenn Sie eine Spritze benötigen. Eine Injektion direkt unter die Haut kann helfen, schmerzhafte Blutungen in den Muskel, z. B. nach einer Impfung, zu vermeiden.2
Referenzen
1. Corrales-Medina FF et al. Blood Rev 2022; 101018.
2. https://www.nhs.uk/conditions/von-willebrand-disease/; last accessed March 2023.
3. Connell NT et al. Blood Advances 2021; 5:301-25.
4. O’Donnell JS & Lavin M, Hematology Am Soc Hematol Educ Program 2019; 604–609.
5. Patel PN et al. Int J Pediatr Otorhinolaryngol 2017; 100:216-222.
Schwangerschaft und Geburt
Auch wenn Sie die Von-Willebrand-Erkrankung (VWE) haben, können Sie eine Familie gründen. Mit entsprechender medizinischer Betreuung sind eine sichere Schwangerschaft und ein gesundes Baby möglich. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt, wenn Sie eine Schwangerschaft planen oder bereits schwanger sind. Ihr Arzt wird mit Ihnen die Risiken einer Schwangerschaft, vorgeburtliche Tests, die Geburt und die Möglichkeit, dass Ihr Kind die VWE haben könnte, besprechen. Sprechen Sie auch über frühere Schwangerschaften, Ihre eigene Blutungsanamnese und die Ihrer Familie sowie eventuelle Fehlgeburten. Auf der Grundlage Ihres individuellen Blutungsrisikos erstellt Ihr Arzt Therapiepläne für eine sichere Schwangerschaft und Geburt.1-3
Eine solche Planung ist für Frauen mit einer VWE notwendig, um potenzielle Risiken zu minimieren, die während und nach der Geburt auftreten können. Bei gesunden Frauen steigt während der Schwangerschaft die Konzentration von Blutproteinen, den so genannten Gerinnungsfaktoren, an, um die werdende Mutter vor übermäßigen Blutungen während und nach der Geburt zu schützen. Verglichen mit gesunden Frauen haben Frauen mit einer VWE während der Schwangerschaft häufig niedrigere Mengen an Gerinnungsfaktoren. Da die Konzentration der Gerinnungsfaktoren schwankt, sollte das Blut von Schwangeren mit einer VWE regelmäßig kontrolliert werden, insbesondere während des dritten Trimesters. Sind die Werte der funktionellen Gerinnungsfaktoren zu niedrig, sollte eine prophylaktische Behandlung während und nach der Geburt erfolgen. Um das Blutungsrisiko während und nach der Entbindung weiter zu senken, kann Ihr Arzt mit spezialisierten Hämostaseologen zusammenarbeiten oder Ihnen empfehlen, in einem spezialisierten Krankenhaus zu entbinden.1-3
Es ist möglich, dass auch Ihr ungeborenes Kind die VWE hat. Obwohl die meisten Babys mit einer VWE keine Probleme mit Blutungen während der Geburt haben, ist es wichtig, sich dieser Möglichkeit bewusst zu sein, damit die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden können. Deshalb sollten Familien, in denen ein Elternteil eine schwere VWE hat, nicht nur über die Geburt eines Kindes mit VWE, sondern auch über die Auswirkungen auf die Schwangerschaft und die Art der Entbindung beraten werden.1-3
Wichtig ist, dass all diese Risiken durch eine entsprechende Überwachung und einen Behandlungsplan für die Betreuung vor, während und nach der Geburt für Sie und Ihr Baby wirksam kontrolliert werden können.3,4
Referenzen
- https://www.nhs.uk/conditions/von-willebrand-disease/; last accessed Feb 2023.
- https://www.cdc.gov/ncbddd/vwd/women.html; last accessed Feb 2023.
- Leebeek FWG, et al. Blood 2020; 136:2143-50.
- Janbain M and Kouides P Int J Womens Health 2022; 14:1307-13.
Psychische Gesundheit
Eine Blutgerinnungsstörung kann enorme Auswirkungen auf Ihr Leben haben. Das Blutungsrisiko kann Ihre körperliche Gesundheit, Ihren emotionalen und mentalen Zustand, Ihr Verhalten, Ihre Beziehungen zur Familie und Ihr soziales Leben beeinträchtigen.1 Die Symptome können Ihre täglichen Aktivitäten einschränken, zu Sorgen über die Zukunft führen und dazu führen, dass Sie sich in Bezug auf intime Beziehungen unsicher fühlen. Oftmals sind von diesen Einschränkungen und Sorgen auch Angehörige betroffen. Die Auswirkungen auf die Lebensqualität können noch ausgeprägter sein, wenn die Blutgerinnungsstörung nicht diagnostiziert wird, wie es bei der Von-Willebrand-Erkrankung (VWE) leider häufig der Fall ist.1-3 Menschen mit nicht diagnostizierter VWE haben keinen Zugang zu angemessener Behandlung und Unterstützung. Ohne soziale Unterstützung zeigen Patienten mit einer VWE häufig Anzeichen von Angst und Depressionen.2,3 Auch nach der Diagnose ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass die VWE eine lebenslange Erkrankung bleibt, die Betroffene, ihre Familien und ihr Umfeld vor anhaltende Herausforderungen stellt.
Für Menschen mit einer VWE ist es eine besondere Herausforderung, Eltern zu werden. Die VWE und andere Blutgerinnungsstörungen sind vererbbare Erkrankungen, die die Familienplanung beeinflussen können. Eltern, deren Kind an einer Blutgerinnungsstörung leidet, können Schuldgefühle haben und sich für die Erkrankung verantwortlich fühlen. Außerdem kann die Angst vor Blutungen dazu führen, dass Sie Ihr Kind überfürsorglich behandeln und die sozialen und sportlichen Aktivitäten einschränken. Es ist jedoch für die Entwicklung Ihres Kindes wichtig, dass es sich frei entwickeln und Vertrauen aufbauen kann. Eine Kombination aus Schutzmaßnahmen sowie geeigneten Aktivitäten und einem leichten Zugang zu einer wirksamen Behandlung kann Ihnen helfen, dieses Gleichgewicht zu finden.2,4
Die Pubertät kann für Menschen mit VWE eine besonders herausfordernde Zeit sein. Da Sie mehr Verantwortung im Umgang mit ihrer Blutgerinnungsstörung übernehmen, ist es sehr wichtig, dass Sie sich an die Vorgaben ihrer Behandlung halten. Wenn Sie Ihre Krankheit selbst in die Hand nehmen, verringert sich nicht nur das Risiko von Blutungen und Schmerzen, sondern Sie gewinnen auch Vertrauen in Ihre Fähigkeiten, stärken Ihre psychische Gesundheit und Ihr Sozialleben.2,6
Frauen mit Blutungsstörungen sind durch ihre Erkrankung oft stark in ihrer psychischen Gesundheit und Lebensqualität beeinträchtigt. Wenn bei Ihnen die VWE diagnostiziert wurde, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie auch von starke Menstruationsblutungen (HMB) betroffen sind. Blutverlust und Krämpfe können den Alltag, sportliche und andere körperliche Aktivitäten sowie soziale und romantische Interaktionen stark beeinträchtigen. HMB führt oft auch zu Fehlzeiten in der Schule oder am Arbeitsplatz. Leider stößt HMB häufig auf Ablehnung und Stigmatisierung. Aufgrund dieser Einschränkungen bei Aktivitäten und Interaktionen und der mangelnden Anerkennung leiden Frauen mit einer VWE häufig unter einer schlechten psychischen Gesundheit. Sie fühlen sich isoliert, sind weniger leistungsfähig und depressiv. Es ist wichtig zu wissen, dass HMB behandelbar ist und dass die Behandlung die Lebensqualität von Frauen mit einer VWE und HMB verbessern kann.4,5
Ein starkes Unterstützungsnetzwerk ist einer der Schlüssel, um die psychischen und sozialen Auswirkungen Ihrer Blutgerinnungsstörung zu begrenzen. Dazu können sowohl Familie und Freunde als auch Sozial- und Gesundheitsdienste gehören.3 Wenn Sie sich niedergeschlagen, ängstlich oder deprimiert fühlen, sprechen Sie auch mit Ihrem Arzt oder den Fachkräften in Ihrem Behandlungszentrum über Ihre Gefühle. Sie können Sie unterstützen und Sie auf die vielen hilfreichen Ressourcen hinweisen, die Experten zum Schutz der psychischen Gesundheit von Menschen mit Blutungsstörungen entwickelt haben. Die Mitarbeiter des Behandlungszentrums können Ihnen auch dabei helfen, Psychologen und Berater zu finden, die Erfahrung in der Arbeit mit Menschen mit Blutgerinnungsstörungen haben. Wir empfehlen Ihnen außerdem, sich an eine lokale Patientengruppe zu wenden. Dort können Sie Ihre Erfahrungen, Emotionen und Erwartungen rund um die VWE besprechen und praktische Ratschläge von anderen betroffenen Menschen erhalten. Die VWE ist eine seltene Erkrankung, aber Sie sind nicht allein und können auf Hilfe zurückgreifen.
Referenzen
- van Hoorn ES, et al. Hämophilie 2022; 28:197-214.
- https://www.hemophilia.org/sites/default/files/document/files/nurses-guide-chapter-13a-child-development-with-bleeding-disorder-transition.pdf; zuletzt aufgerufen im März 2023.
- Roberts JC, et al. Hämophilie 2022; doi: 10.1111/hae.14725.
- VanderMeulen H, et al. Hämatologie Am Soc Hematol Educ Program 2022 1: 631-6.
- Sanigorska A, et al. Res Pract Thromb Haemost 2022; 6:e12652.
- McLaughlin JM, et al. Ergebnisse zu Gesundheit und Lebensqualität, 2017: 15:67.
Referenzen
- Connell NT et al. Blood Advances 2021; 5:301-25.
- Roberts JC et al. Haemophilia 2022; doi:10.1111/hae.14725.
- Rae C et al. Haemophilia 2013; 19:385-91.
- De Wee et al. J Thromb Haemost 2010; 8:1492-9.
- De Wee et al. J Thromb Haemost 2011; 9:502-9.